Wir werden revolutioniert! ...und zwar nicht nur in der Art wie wir programmieren, sondern auch, wer überhaupt programmiert. Die Zeit, in der nur ausgebildete Entwickler:innen komplexe Anwendungen erstellen konnten, wird zunehmend von einer Ära abgelöst, in der Menschen ihre Vorstellungen formulieren und KI daraus Software generiert. Was wie Zukunftsmusik klingt, ist bereits (mit gewissen Einschränkungen) Realität.
Begriffe wie Vibe Coding, AI-Driven Development oder Augmented Development tauchen immer häufiger in Diskussionen auf. Sie stehen für tiefgreifende Veränderungen, aber auch für große Unsicherheit: Was genau bedeuten diese Konzepte? Was können sie leisten und was nicht? Vor allem: Was bedeutet das alles für uns als Entwickler und für unsere Kunden?
Wir wollen die Begriffe ein bisschen einordnen, Chancen und Fallstricke aufzeigen, und unsere Sicht in Bezug zu verbreiteten Statements bringen. Die Debatte ist in vollem Gange, schreiben Sie mir doch gerne Ihre Sicht der Dinge.
Die Revolution des Vibe Codings
Vibe Coding, sicher der hipste Begriff in diesem Feld, beschreibt ein neues Paradigma der Softwareentwicklung, bei dem natürliche Sprache das zentrale Interaktionsmittel ist. Der Begriff stammt von Andrej Karpathy, einem der Mitbegründer von OpenAI. Er charakterisiert Vibe Coding so: "It's not really coding - I just see things, say things, run things, and copy-paste things, and it mostly works." Der Code ist nicht das Ergebnis von getippten Zeilen, sondern von zusammengestellten Absichten, die man formuliert.
Diese Revolution verspricht, dass nicht nur ausgebildete Entwickler:innen, sondern auch Menschen ohne Programmierkenntnisse komplexe Anwendungen erstellen können. Durch die intuitive Nutzung natürlicher Sprache wird die Barriere für den Zugang zur Softwareentwicklung erheblich gesenkt.
AI-Driven Development: Mehr als nur Automatisierung
Im Gegensatz zum "Viben" steht AI-Driven Development, das umfassender gedacht ist: KI wird entlang der gesamten Entwicklungspipeline eingesetzt - von der Planung über die Codierung bis hin zu Testing, Refactoring und Deployment.
Durch den Einsatz von KI in jedem Schritt des Entwicklungsprozesses können Fehler frühzeitig erkannt und behoben werden, was zu einer schnelleren Markteinführung und besseren Softwarequalität führt. Dies stellt sicher, dass Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben und ihren Kunden innovative Lösungen bieten können.
Der Ansatz verspricht Effizienz und Qualität der Softwareentwicklung erheblich zu steigern.
Augmented Development: Der Mensch-KI-Ansatz
Augmented Development hingegen versteht sich als eine mensch-zentrierte Methode. Die KI agiert als Partner oder Co-Pilot. Thomas Dohmke, CEO von GitHub, beschreibt es so: "I think Copilot and agent mode keep you in that zone of creativity and let you really focus.” ...während die KI die langweiligen Aufgaben übernimmt.
Durch die Unterstützung der KI können Entwickler:innen sich auf kreative und komplexe Aufgaben konzentrieren, während die KI repetitive und zeitaufwändige Arbeiten übernimmt.
Dieser Ansatz verspricht höhere Produktivität und Zufriedenheit der Entwickler:innen, die in der Folge innovative und qualitativ hochwertige Softwarelösungen entwickeln.
Im echten Leben überschneiden sich all diese Begriffe. Während Vibe Coding eher auf Interaktion zielt, geht AI-Driven Development strukturell tiefer. Augmented Development vereint Aspekte beider Konzepte mit einem klaren Fokus auf Empowerment der Entwickler:innen. Und bewusst eingesetzt sehen wir in allen drei Herangehensweisen große Chancen für die gesamte Softwareentwicklung und für unsere Projekte.
Europäische Perspektiven
Auch in Europa wird die Entwicklung intensiv, allerdings mit eigenen Schwerpunkten, begleitet. Die EU-Kommission fördert etwa im Rahmen von Horizon Europe Projekte zur Mensch-KI-Kollaboration. Dabei steht neben Innovation auch die ethische Verantwortung im Mittelpunkt.
Ein Beispiel ist OpenGPT-X, ein deutsches Projekt, das ein europäisches Gegenstück zu GPT-4 entwickeln soll. Mit Fokus auf Datenschutz, Sprachvielfalt und kultureller Sensibilität. Unternehmen wie SAP integrieren Generative KI in bestehende ERP-Systeme, um etwa Businessprozesse durch automatisierte Codeerstellung zu optimieren.
Gleichzeitig mahnt die Digitalstrategie der Bundesregierung zur Vorsicht: Verantwortungsvolle KI-Anwendungen sollen nicht nur effizient, sondern auch nachvollziehbar und sicher sein. Kritische Stimmen, etwa von europäischen Datenschutzinitiativen, fordern eine stärkere Regulierung der generativen KI. Gerade im sensiblen Bereich der Codegenerierung.
Initiativen zur Erklärbarkeit von AI-Ergebnissen, wie Explainable AI (XAI), und transparente Entwicklungsprozesse ebnen den Weg für vertrauenswürdige, nachhaltige und zukunftsweisende KI-Lösungen. Hochwertige, sauber gepflegte Datensätze bilden dabei das Fundament für das erfolgreiche und verantwortungsvolle Training von Künstlicher Intelligenz. Mit der Open-Source-Plattform daseen.de (Dataset Search Engine) stellt Mission KI Unternehmen und Entwickler:innen innovative Werkzeuge für die gezielte, sichere Datenrecherche zur Verfügung. Erfahren Sie mehr über unser Engagement für Transparenz und Qualität in der KI-Entwicklung.
Was verspricht AI in der Entwicklung?
Was verspricht die schöne neue Softwarewelt nun ihren Kunden?
1. Beschleunigte Entwicklung: Der Nutzen erstreckt sich nicht nur auf den Prototypenbau, sondern insbesondere auf die Umsetzung von Change-Requests, der Fehlerbehebung und der Weiterentwicklung von Anwendungen.
2. Kosteneffizienz: Weniger Entwicklungsaufwand bedeutet niedrigere Kosten - ein entscheidender Vorteil, besonders in einem wettbewerbsintensiven Umfeld, in dem effiziente Ressourcennutzung und schnelle Entwicklungszyklen den Unterschied ausmachen.
3. Kreativitätsschub: Die KI liefert nicht nur Code, sondern auch Inspiration. Der angestrebte Flow wird durch KI schneller erreicht.
4. Marktvorteile: Das Rad dreht sich (noch) schneller. Jetzt ist nicht mehr viel Zeit zu verschwenden. Wer seinen Markt weiterhin besetzen will, der muss handeln. Unabhängig von Branche oder Größe.
Herausforderungen und Fallstricke
So verheißungsvoll diese Entwicklungen klingen – sie sind nicht ohne Risiken:
- Codequalität: KI generiert Code, der auf den ersten Blick funktioniert, aber langfristig schwer wartbar sein kann. Nach unseren Erfahrungen tendieren die Helfer zu einfachen Lösungen und bringen gern neue Patterns oder Bibliotheken ins Spiel, die nicht notwendig und auch nicht sinnvoll sind. Es wird im Netz hier und da vor "unkontrollierten Vibe Coding-Praktiken" gewarnt. Aber im Ernst: Wem Sicherheit wichtig ist, der sollte als Laie keine Software-Module "viben".
- Kompetenzverlust: Wenn Entwickler:innen sich zu sehr auf KI verlassen, geht tiefes technisches Verständnis verloren. Langfristig kann das die Innovationsfähigkeit gefährden. Wer ist denn der Entwickler:innen-Nachwuchs, der einmal Experte wird, wenn die KI diese Basic-Aufgaben übernimmt?
- Fragmentierte Toollandschaft: Es gibt zahlreiche Tools, aber nicht alle sind gut integriert. Software-Entwickler stehen vor der Herausforderung, diese sinnvoll in bestehende Entwicklungsprozesse einzubinden.
- Rechtliche und ethische Grauzonen: Wem gehört der generierte Code? Was passiert, wenn er gegen Patente oder Lizenzen verstößt? Der Einsatz von KI in der Codeentwicklung erfordert klare Regularien, die zudem ethische Aspekte wie Fairness, Transparenz und Verantwortlichkeit adressieren.
Fazit: Die Integration von KI in die Softwareentwicklung ist keine technische Spielerei, sondern markiert den Beginn eines strukturellen Wandels.
Unternehmen, die sich früh mit diesen Konzepten auseinandersetzen, sichern sich einen strategischen Vorteil. Gleichzeitig müssen Verantwortliche kritisch bleiben: Nicht jeder Code, der „vibed“, ist auch wartbar, sicher und skalierbar. Nicht jeder Dienstleister, der mit populären Begriffen wuchert, ist auch in der Lage Qualität zu liefern.
Deshalb: Vibe Coding mag der populärste Begriff sein – doch nur im Zusammenspiel mit einem durchdachten AI-Driven Development, einer Augmented Development-Strategie und "althergebrachten" Kompetenzen im Software-Engineering kann der volle Nutzen realisiert werden.
Vertrauen in ihren Softwareentwickler wird für Kunden noch wichtiger. Vertrauen und Transparenz im Vorgehen und in der Abrechnung, denn technische Schulden zeigen sich meist erst, wenn die ersten Probleme auftauchen. Und es muss nicht alles KI sein - erfahrungsbasierter Weit- und Überblick gepaart mit menschlicher Kreativität bleibt ein kritischer Erfolgsfaktor. Für uns als Entwickler und für unsere Kunden. Dann steht schneller, wirtschaftlicher und individuell entwickelter Software nichts mehr im Weg.
Dieser Artikel soll nicht nur informieren, sondern auch zum Mitdenken anregen. Wie gehen wir mit dieser Technologie um? Wo setzen wir sie ein – und wo nicht? Die Haltung, die Unternehmen heute entwickeln, wird über ihre Innovationskraft von morgen entscheiden.
Über den Autor

Meine Schwerpunkte liegen in der strategischen Unternehmens-entwicklung, der Umsetzung von Change-Prozessen, der Gestaltung von Prozessen und der Beratung. Nach über 20 Jahren im Lead von unserem Bereich People & Culture habe ich mir eine neue Herausforderung gesucht und baue unser KI-Portfolio strategisch aus. In einer zunehmend komplexer werdenden Welt – manche sprechen von VUCA oder BANI - sind lernen und sich stetig weiterzuentwickeln, meine Motivation.