Wenn eine Idee für eine neue Funktionalität im Kopf heranreift, beginnt oft die Phase der Spezifikation. Viel Mühe und Zeit fließen dann in ausführliche Dokumentationen, um die neue Funktionalität festzuhalten. Trotz all der Sorgsamkeit wird doch häufig etwas Wichtiges vergessen oder vom Entwicklerteam missverstanden. Daraus folgen Mehrkosten durch Änderungsanfragen und eine zeitliche Verschiebung bis zum Erreichen der optimalen User Experience (UX) des neuen Features. Diese Featuritis, also das Einbauen von immer mehr Funktionen und Wünschen im Nachgang, steht jedoch einer effektiven Zielerreichung im Weg.
Die richtigen Wege gehen durch Kaizen (© Foto von 邱 严 auf Unsplash, Schriftzug eXXcellent solutions)
Im Rahmen unserer Blogreihe zu User Centered Design befassen wir uns mit den Potenzialen nutzerorientierter Entwicklungen. Dabei lassen sich die Prinzipien von Kaizen anwenden, einer japanischen Methode des Lean Managements. Während wir uns im vorherigen Beitrag auf das “Kai” (kontinuierliche Veränderung) konzentriert haben, beschäftigt sich dieser Artikel mit dem “Zen” (zum Besseren). Dabei setzen wir an den Startpunkten unserer Entwicklungsetappen an, mit der Fragestellung: Wie können wir das oben beschriebene Problem schon im Ansatz vermeiden? Indem wir Kunden und Entwicklerteam in ein Boot setzen.
Von ich zu uns – Verschiedene Perspektiven helfen (© eXXcellent solutions)
Um die Interaktion zwischen Entwicklerteam und Kunden effektiv zu gestalten, ist es wichtig das komplette Team auf denselben Wissensstand zu bringen. Dies erreichen wir, indem wir zunächst gemeinsam klären, was wir als Team wissen, was wir nur annehmen und was wir nicht wissen. Mit Hilfe situationsgeeigneter agiler und nutzerzentrierter Methoden werden im Team Annahmen über die Nutzerbedürfnisse identifiziert und daraus erste mögliche Teil-Features erarbeitet. Diese werden in Minimal Viable Products (MVPs) umgesetzt, also einer Minimalversion der Anwendung, wobei je nach Situation ein anderer Detailgrad gewählt wird (low / high fidelity). Durch gezielte Umfragen und frühe Berührungspunkte mit diesen MVPs stellen wir sicher, dass die Nutzenden schon früh Feedback zu den hergeleiteten Features geben können. Dieses Vorgehen ermöglicht unserem Team die Annahmen über die Kunden, deren Wünsche und Bedürfnisse mit realem Feedback der Kunden abzugleichen. Nur so können wir die Nutzenden – ihre Gedanken, Wünsche und Bedürfnisse – empathisch verstehen und mit unseren Annahmen abgleichen.
Oftmals führt dieser Abgleich zu unvorhergesehenen und überraschenden Informationen. Diese Erkenntnisse liefern neue Sichtweisen auf das geplante Produkt. Durch die Integration der Entwickler:innen in die Planungsphase können sie die Erkenntnisse direkt in Code gießen und schnell einen angepassten MVP liefern. Auf diese Weise investieren wir nur in die Richtung, aus der wir positives Feedback von den Nutzenden bekommen. Ideen, die bei den Nutzer:innen keinen Anklang bekommen, werden nicht weiterverfolgt.
Effektiv zum Produkt – Einarbeitung von Erkenntnissen führen zu einer passgenauen Lösung (© eXXcellent solutions)
Als Folge der Zusammenarbeit mit Entwicklern und Kunden wird das gewünschte gemeinsame Verständnis der Nutzerwünsche aufgebaut. Der daraus resultierende Konsens ermöglicht eine schnellere Iteration, eine echte Beteiligung an der Produktentwicklung und die Teilnahme des Teams am kontinuierlichen Validieren und Adaptieren. Gemeinsame Entscheidungsfindung und ein einheitlicher Wissensstand machen eine umfangreiche Dokumentation überflüssig. So werden weniger Zeit und Ressourcen für ein potenziell unbefriedigendes Produkt verschwendet. Wir entwickeln also gemäß Kaizen und erhalten kontinuierlich ein besseres Produkt.
In einem unserer Projekte wurde das oben beschriebene agile und nutzerzentrierte Vorgehen gemäß Kaizen nicht nur angewandt, sondern auch wissenschaftlich evaluiert. Dieses Vorgehen wurde mit der chronologischen Abfolge eines fertig formulierten Pflichtenheftes und das anschließend beginnende Umsetzen der einzelnen Features verglichen. Dazu wurde der benötigte Zeitaufwand des nutzerzentrierten Arbeitens und der Umsetzung, dem Zeitaufwand für die Erstellung des Pflichtenheftes und der Schätzung der Umsetzung in Personentagen gegenübergestellt. Die benötigte Zeit für die Umsetzung des gewünschten Features konnte signifikant gesenkt werden.
Diese enorme Zeit- und somit Kostenersparnis geht nicht auf ein effizienteres, sondern auf ein effektiveres Arbeiten zurück. Es mag effizient sein, davon auszugehen, dass wir die gewünschten Ergebnisse erreichen, aber die Planung der zukünftigen Arbeit ist nicht sehr nützlich, wenn unsere Annahmen falsch waren. Wir müssen, wie bereits beschrieben, die besten agilen Methoden und das User Experience Design zusammenbringen, um sicherzustellen, dass wir genau das Produkt herstellen, das unsere Kunden wollen. Es geht also nicht darum, den gleichen Produktumfang schneller zu entwickeln, sondern darum, zu erkennen, was tatsächlich benötigt wird. Kurz gesagt: Die Entwicklungszeit verkürzt sich durch den nicht-produzierten Abfall.
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Veronika Ansorge: Die Autorin Veronika Ansorge ist Senior Software Engineer bei der eXXcellent solutions in Ulm. Seit 2020 ist sie als Beraterin und Entwicklerin im Bereich SAP und Web tätig. Weitere Schwerpunkte liegen in der Mensch-Computer-Interaktion und im agilen Entwickeln.
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Michael Englbrecht: Co-Autor Michael Englbrecht ist Portfolio Manager SAP bei der eXXcellent solutions in Ulm. In seiner 23-jährigen Berufserfahrung im SAP-Bereich begleitete er viele Projekte bei der Umsetzung eigener UX-Konzepte und der Implementierung von SAP Fiori. In seiner Rolle als Business Manager leitet er außerdem Individual-Entwicklungsprojekte. Er ist Autor zahlreicher Bücher veröffentlicht beim Rheinwerk Verlag (SAP Press) u.a. zu SAP Fiori, SAP Schnittstellenprogrammierung und SAPUI5.
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