Die Entwicklung von kundenindividuellen Softwarelösungen unterliegt oft einer gewissen zeitlichen Drucksituation. In aller Regel entsteht der Bedarf an einer kundeneigenen Lösung aufgrund eines sehr spezifischen Problems, welches zeitnah behoben werden soll. Eine lineare Vorgehensweise ist dabei oft hinderlich. Mittels Kaizen – einer Methode des Lean Managements – lassen sich jedoch Probleme effizienter lösen. Denn: Es soll kein Tag ohne irgendeine Verbesserung im Softwareprojekt vergehen.
Die richtigen Wege gehen durch Kaizen (© Foto von 邱 严 auf Unsplash, Schriftzug eXXcellent solutions)
Linear vs. agil
Scrum und Agilität sind in aller Munde und werden schon in vielen Projekten erfolgreich umgesetzt. Dennoch folgen viele Projektorganisationen einem eher linearen Ablauf. Dabei beinhaltet der lineare Weg bestimmte Streckenabschnitte, die eine effiziente Umsetzung erschweren. Die Erkenntnis, dass man auf dem Weg zum Ziel falsch abgebogen ist oder einen Umweg gehen muss, kommt dadurch meistens zu spät: Angefangen mit der Erarbeitung eines Pflichtenhefts sowie eines Konzepts, folgt die Implementierung der Lösung und schließlich das Deployment. Eine Art „fire and forget“ sozusagen. Doch was kommt danach?
Die Anwendung wird im schlimmsten Fall erst dann zum ersten Mal durch die echten Nutzer:innen getestet. Es folgen Nachforderungen, sogenannte Change Requests (CRs), die wiederum implementiert werden müssen, und so weiter und so fort. Diese kosten Zeit, Nerven und sehr viel Geld.
Nachfolgende Change Requests ziehen den Entwicklungsprozess unnötig in die Länge (© eXXcellent solutions)
Bei so einem starren Vorgehen fehlt gänzlich das Kundenfeedback im Prozess. Rückmeldungen können dadurch erst zu einem sehr späten Zeitpunkt und nach und nach in das Produkt eingearbeitet werden. Denn nicht selten kann der Nutzerkreis einer individualen Anwendung erst beim „Anfassen“ und „Ausprobieren“ der Softwarelösung genau beschreiben, welche Funktionen tatsächlich wie, wann und wo benötigt werden. Menschen sind emotionale Wesen, dieser „Umstand“ kann dazu führen, dass sich User:innen nicht verstanden fühlen und die Softwarelösung schon verbrannt ist, bevor sie produktiv eingesetzt wurde. Dies lässt sich vermeiden, durch eine agile Vorgehensweise, welche die Nutzer:innen in den Prozess miteinbezieht – z. B. durch die Methodik des Kaizen.
Leichtfüßig zu Veränderung
Viele kennen Kaizen als Konzept zur „kontinuierlichen Verbesserung“ aus der Arbeitswelt. Kaizen wurde durch einen japanischen Autohersteller als Managementkonzept entwickelt und bekannt durch den Unternehmensberater Masaaki Imai. Kai steht für „Veränderung“, Zen für „zum Besseren“. Es geht grundsätzlich darum, durch kontinuierliches Hinterfragen in kleinen Schritten große Veränderungen herbeizuführen und damit entsprechend dem Lean Management einen schlanken und effizienten Projektablauf zu ermöglichen. Von Lean Management ist der Weg zu Lean UX nicht weit – also der Umsetzung einer passgenauen, effizienten User Experience, durch den kontinuierlichen Einbezug der Nutzer:innen in den Entwicklungsprozess.
Anstatt einen Streckenabschnitt nach dem anderen abzuwandern und die Strecke am Ende durch CRs zu verlängern, wird der Prozess mittels Sprints beschleunigt, die jeweils mit einer nutzerorientierten Spezifikationsrunde starten. Dabei werden im Rahmen der Entwicklung kontinuierlich funktionsfähige Zwischenstände auf das Zielsystem deployed. Durch diese kontinuierliche Auslieferung (Continuous Delivery) kann durch den Zielnutzerkreis der aktuelle Stand der Lösung frühzeitig getestet werden – gemäß dem Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung von Kaizen.
Durch Sprints kann zeitnah regelmäßiges Nutzerfeedback eingeholt und direkt Implementiert werden (© eXXcellent solutions)
Besonderes Augenmerk gilt dabei den Nutzer:innen im Feedbacksprint. Denn nur so kann gewährleistet werden, dass die einzelnen Sprints ihr Ziel nicht verfehlen und man am Ende die Strecke nicht wieder zurücklaufen muss.
Klingt nach Anarchie!
Natürlich wird im Projekt nicht einfach drauflos gerannt. Trotz der Vorgabe agil zu arbeiten, ist es zwingend notwendig seine Nutzergruppen festzulegen, den Problemraum zu identifizieren, die Nutzerbedürfnisse kennenzulernen und Lösungsansätze zu entwickeln. Dies wird im Rahmen des Sprint 0 durchgeführt. Erst am Ende von Sprint 0 ist abzusehen, wieviel Aufwand es benötigt um das sogenannte Minimal Viable Product (MVP) zu implementieren. Hierbei handelt es sich um die „minimal Version“ der Anwendung, also jene mit den elementarsten Funktionen.
In Sprint 0 werden der Problemraum, die zugehörigen Nutzergruppen und das Lösungskonzept definiert (© eXXcellent solutions)
Es geht um’s Wesentliche
Doch kontinuierliche Verbesserung bedeutet nicht, wie in einer Feature-Fabrik mit jedem Durchlauf Funktion um Funktion zu ergänzen. Die wahre Stärke von Kaizen liegt im schnellen Lernen und Entdecken. Welche Funktionen am Ende veröffentlicht werden, ist das Nebenprodukt dessen, was wir aus häufigen Kundeninteraktionen gelernt haben. Dabei werden die Ergebnisse aus Sprint 0 stetig aktualisiert. Der eigentliche Vorteil der Agilität besteht nicht darin, mehr zu liefern, sondern weniger – nur das, was erforderlich ist. Es geht darum, zu entscheiden, was gebaut werden soll und was nicht. Dabei ist jeder Sprint eine Gelegenheit, um zu lernen und eine Entscheidung zu treffen – aufhören? Mehr bauen? Verfeinern? Entfernen? Je schneller wir beweisen, dass wir falsch liegen, desto schneller können wir aufhören, Geld dafür auszugeben. Je schneller wir erfahren, dass wir richtig liegen, desto mehr können wir iterativ investieren.
Vom Machen lassen, zum Mitmachen – Schaffen einer gemeinsamen Lösung
Die Integration von Nutzer:innen in den Entstehungsprozess und das regelmäßige Einholen von Feedback ist von hoher Wichtigkeit und fließt in die nächsten Entwicklungszyklen mit ein. Das Feedback wird dabei zunächst evaluiert und im weiteren Verlauf der Entwicklung eingearbeitet. Dies verbessert kontinuierlich das Produkt. Genau das, was mittels Lean UX und Kaizen erreicht werden soll.
Ebenfalls von Vorteil ist, dass die späteren Nutzer:innen in den Entstehungsprozess eingebunden sind. Ihnen wird am Ende nicht einfach ein Stück Software vorgesetzt, das sie noch nie gesehen haben. Durch die Integration wird es zu ihrem eigenen Produkt (Ownership). Die Identifikation steigt und damit die gemeinsame Verantwortung für ein lösungsorientiertes Handeln entlang der Problemstellung. Featuritis, also das Einbauen von immer mehr Funktionen und Wünschen innerhalb endlos langer CRs, war gestern.
Durch den agilen und lernorientierten Prozess, kann mittels Kaizen eine Lean UX umgesetzt werden, die die User:innen und deren tatsächlichen Bedürfnisse und damit die wesentlichen Anforderungen an die Softwarelösung in den Fokus stellt. Dadurch können wir schnell passgenaue Lösungen entwickeln, die keinen aufwendigen Änderungen nach der ersten Entwicklung bedürfen, sondern direkt einsatzbereit sind.
Alle Beiträge der Kaizen-Blogreihe:
- Auf die Spec, fertig, los – Der effiziente Weg zur neuen Software?
- Featuritis ist heilbar – Der effektive Weg von der Idee zum nutzerfreundlichen Feature
- Feedback is Key – Was Nutzer:innen uns sagen
- Das „Schweizer Taschenmesser“ für effizientes Teamworking
- Zwei Paar Stiefel: Nutzer- vs. Kundenperspektive
- Lost im Feedback-Dschungel: Ein Guide zum Feature
- Design Thinking: Methodik oder Mindset?
Weitere Informationen:
Haben Sie Fragen zu diesem Thema? Schreiben Sie mir gerne eine E-Mail. Ich freue mich auf Ihre Kontaktaufnahme! michael.englbrecht@exxcellent.de
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Über den Autor und die Co-Autorin:
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Michael Englbrecht: Der Autor Michael Englbrecht ist Portfolio Manager SAP bei der eXXcellent solutions in Ulm. In seiner 23-jährigen Berufserfahrung im SAP-Bereich begleitete er viele Projekte bei der Umsetzung eigener UX-Konzepte und der Implementierung von SAP Fiori. In seiner Rolle als Business Manager leitet er außerdem Individual-Entwicklungsprojekte. Er ist Autor zahlreicher Bücher veröffentlicht beim Rheinwerk Verlag (SAP Press) u.a. zu SAP Fiori, SAP Schnittstellenprogrammierung und SAPUI5. |
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Veronika Ansorge: Co-Autorin Veronika Ansorge ist Software Engineer bei der eXXcellent solutions in Ulm. Seit 2020 ist sie als Beraterin und Entwicklerin im Bereich SAP und Web tätig. Weitere Schwerpunkte liegen in der Mensch-Computer-Interaktion und im agilen Entwickeln.
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